Uwe Zenske

 

Opium

 

Jeanne war nie die eine, immer nur die andere, wie die deutsche Dichterin Gertrud Kolmar einmal in rührender Ironie über sich selbst schrieb. Paul Guth nannte sie, wenig schmeichelhaft, eine erbärmliche Statistin, die sich der Prostitution und dem Alkohol widmete. Dennoch fesselte sie Baudelaire für beinahe anderthalb Jahrzehnte mit ihrem betäubenden Duft, ihrem sanft gekräuselten Haar, ihrer unbezähmbaren, fremdartigen Erotik.

Die beiden Zeilen aus den Fleurs du Mal (La Chevelure) -
Comme d’autres esprits voguent sur la musique,
Le mien, ô mon amour! nage sur ton parfum -
bezogen sich, wie zahlreiche andere lyrische Texte Baudelaires, zweifellos auf sie.

Ihr Nachname war Duval. Falls sie wirklich so hieß. Es ist ebenso ungewiß wie das Datum und der Ort ihrer Geburt. Haiti wird für möglich gehalten, aber auch Madagaskar, l’Ile Maurice, Saint-Barthélémy und zahlreiche andere, mehr oder weniger exotische Gegenden. Man weiß wenig über sie, nicht, wann sie nach Paris gekommen, wann sie gestorben und wo sie begraben worden ist.

Niemand wäre auf den Gedanken gekommen, sie heimzuholen, wie es, wenn auch erst nach ihrem Tod, mit der unglücklichen Sara Baartman geschah, einer Khoi, die in Europa auf demütigende Weise als Hottentotten-Venus in einem Wandercircus ausgestellt, betastet und beschaut wurde. Bei ihr war das Land ihrer Herkunft, Südafrika, bekannt. Wurzeln zu haben, ist kein Privileg der Aristokratie. Von Vorteil erwies sich am Ende, daß Sara in Paris, wo sie 1816 starb, von Cuvier auf sehr eigenwillige Art in den Vitrinen und mit Formaldehyd gefüllten Einweckgläsern des Musée de l’Homme bestattet worden war. Man wußte deshalb, wo nach den Teilen ihres Leichnams zu suchen war, um ihn halbwegs wieder zusammenzufügen.

Aber in welche Heimat hätte man Jeanne Duval bringen sollen? Für sie schien der Begriff ohne Bedeutung zu sein. So blieb für sie nur, verscharrt zu werden, in fremder Erde, einem schmucklosen Grab, das bald für immer vergessen war. Vermutlich hat es nie jemand besucht. Blind und halbseitig gelähmt von der Syphilis, der Jeanne, wie auch Baudelaire, schließlich erlag, war sie am Ende ihres Lebens für niemanden mehr wichtig. Außer zur Liebe taugte sie anscheinend zu nichts. Ihre Schauspielkunst, in der sie sich in jungen Jahren am Theater der Porte-Saint-Antoine in einigen Nebenrollen versucht hatte, bewegte das Publikum wohl kaum zu mehr als einem Achselzucken.

Als sie Baudelaire begegnete, im April oder Mai 1842, könnte sie, wenn man das Datum ihrer Aufnahme in der Privatklinik Dubois 1859 und ihr angebliches damaliges Alter zurückrechnet, fünfzehn gewesen sein. Leider trifft auch das wahrscheinlich nicht zu. Es wäre Baudelaire zu gönnen gewesen, der Unsummen seines beträchtlichen, vom Vater ererbten Vermögens für sie verschwendete, bis seine Familie ihn unter Vormundschaft stellen ließ. Dabei leuchtet ohne weiteres ein, daß man weit unvernünftigere Dinge mit Geld anzustellen vermag, als es mit seiner Geliebten durchzubringen.

Vor der Liaison mit Baudelaire war sie die Maitresse von Nadar. Aber ein Photo von ihr gibt es nicht. Vielleicht hatte die Krankheit, als er 1854 sein Atelier eröffnete, sie schon zu stark beeinträchtigt. Wir kennen Beschreibungen ihres Aussehens, die sich widersprechen, und einige Zeichnungen von der Hand des Dichters, meist mit Feder und Tusche ausgeführt. Ob sie die Wirklichkeit abbilden oder nur seine Phantasien, ist nicht bekannt. Im Budapester Szépmüvészeti Museum hängt ein Gemälde Manets, von dem man lange Zeit sicher war, darauf ihr Portrait zu erkennen. Inzwischen gilt auch das als umstritten.

Trösten wir uns über das Geisterhafte ihrer Erscheinung mit einem Zitat Banvilles (Mes Souvenirs, Charpentier 1882, S. 74) hinweg, der ihren Gang als den einer Königin beschreibt, voller unnahbarer Anmut, mit einer zugleich göttlichen und tierhaften Ausstrahlung (“C’était une fille de couleur ... dont la démarche de reine, pleine d’une grâce farouche, avait quelque chose à la fois de divin et de bestial.”). Aufregender begegnet sie uns nur in den Gedichten ihres damals schon todgeweihten Geliebten Baudelaire.

 

 

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